Schulden
Freie Wählergruppe:
Herr Ortsbürgermeister, lieber Jochen, in Teil 4 haben wir über die Steuereinnahmen gesprochen. Du hast dabei die Wichtigkeit der Realsteuern angesprochen und hier die sich seit 2014 deutlich gut entwickelte Gewerbesteuer als Haupteinnahme der Realsteuern.
Wer Ausgaben habe, müsse auch Einnahmen erzielen, so dein Statement. Und zu den Ausgaben, so hast Du gesagt gehören auch die Kredittilgungen. Wie steht es denn um die Schulden der Gemeinde?
Ortsbürgermeister:
Ausgaben ohne Einnahmen, das funktioniert aus meinem betriebswirtschaftlichen Verständnis nicht lange. Ein Finanz-Minus müsste man ansonsten andauernd “auf Pump” ausgleichen bzw. durch Kredite. Das bedeutet Schulden machen.
Hier müssen wir unterscheiden zwischen Investitions- und Liquiditätskrediten. Ich hatte es ja schon im Gespräch über die Straßenausbaubeiträge gesagt: Die finanzielle Situation in der Gemeinde ist zunächst mal nicht schlechter wie in anderen umliegenden Gemeinden.
Eines kann jedoch ganz deutlich gesagt werden: Mit den vom Land erhobenen Verpflichtungen an die KiTa- und Schulträger wurde den Gemeinden heftige Auflagen und Investitionen auferlegt, die letztendlich seit ca. 2014, ich erinnere an den Kindergartenneubau in Weitersburg für über 2 Millionen Euro, sehr viele Kommunen in Finanzengpässe treiben.
Nachdem die KiTa in Weitersburg neu gebaut wurde, hatte auch Urbar und die Stadt Vallendar neu gebaut. Wenn man sich nun deren Entwicklung der Schulden anschaut, sieht man ähnliche Schuldenkurven, nur mit Jahresversatz. Die Kommunen sitzen das fast alle im selben Boot.
Freie Wählergruppe:
Das heisst der KiTa-Neubau hat Weitersburg in Schulden gestürzt?
Ortsbürgermeister:
Der KiTa-Neubau hat zu einem recht großen Anteil zur aktuellen Finanzsituation beigetragen. Der Neubau war aber dringend nötig und überfällig. Das soll ein Beispiel sein, an dem ich die Schuldenentwicklung erklären möchte.
Die Schulden der Ortsgemeinde beziehen sich vereinfacht gesagt auf Kreditaufnahmen aus den Investitionen (Darlehen der Ortsgemeinde) und zur Liquiditätssicherung (Kassenkredite).
Investitionskredite sind dabei letztendlich Darlehen bei Banken, wobei der Liquiditätskredit quasi Schulden bei der Verbandsgemeinde Vallendar sind, um den Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können bzw. fälligen Zahlungen begleichen zu können. Zum Beispiel die Gehälter der Mitarbeiter, Mieten, Nebenkosten, Reparaturen etc. und eben auch Kredittilgungen.
Freie Wählergruppe:
Kannst Du das mal in Zahlen ausdrücken?
Ortsbürgermeister:
Für die KiTa haben wir, ich sage es mal etwas zynisch, “ein bisschen” Förderung erhalten, aber den großen Hauptanteil musste die Gemeinde alleine schultern.
In den Jahren 2013 bis 2016 wurden knapp über 3,7 Millionen Euro durch Kreditaufnahmen investiert. Danach gab es keine Kreditaufnahmen mehr. Von 2014 bis 2017 konnten davon direkt wieder 1,2 Millionen Euro getilgt werden. Seit 2018 bewegen sich nun die jährlichen Tilgungsraten durchschnittlich so bei grob 130.000 Euro.
In den genannten Zeitraum gehört natürlich nicht nur der KiTa-Neubau, sondern auch die Erschließung des Neubaugebietes “Aufm Bungert / Ober der Heege”. Dies aber im Zeitraum 2013 - 2017 mit ca. 1,5 Millionen Euro Ausgaben für Ankauf von Grundstücken und Erschließung, auf der anderen Seite aber Einnahmen von ca. 1,4 Millionen Euro durch Verkauf von Grundstücken und Erschließungsbeiträge. Da war im gleichen Zeitraum der Brückenbau Waldfriede oder die Straßenausbauprojekte deutlich teurer.
Wer jetzt vorhin aufgepasst hat, der hat bemerkt, dass sich die Tilgungen voll auf die Liquidität auswirken. Das bedeutet, dass sich die aufgenommenen Investitionskredite mit einem kleinen Zeitversatz zu 100% in den Liquiditätsschulden abbilden.
Das führt dazu, dass die Gemeinde zum Stand 31.12.2023, obwohl noch im Finanzstatusbericht des Sommers 2023 alles gut ausgesehen hatte und sogar von dem Abbau der Liquiditätsschulden auszugehen war, doch inzwischen auf einen Stand der Liquiditätsschulden von 1,3 Millionen Euro angestiegen ist.
Aus dem Entschuldungsprogramm des Landes erhalten wir davon leider nur ein bisschen weniger als 200.000 Euro entschuldet. Daher sind nach Landesprogramm in den nächsten 30 Jahren 1,1 Millionen Euro zu tilgen.
Freie Wählergruppe: Also neben den Kredittilgungen von rund 130.000 Euro pro Jahr wären noch zusätzlich rund 37.000 Euro pro Jahr Liquiditätskredite zu tilgen?
Ortsbürgermeister:
So ist es. Es kommt aber noch besser:
Jede Kommune muss dazu nach Gemeindeordnung einen Tilgungsplan entwickeln. Und alle ab jetzt neu aufgenommenen Kredite zur Liquiditätssicherung müssen innerhalb von höchstens 36 Monaten nach Ablauf des Haushaltsjahres, für das sie aufgenommen worden sind, vollständig getilgt werden.
Es wird also um eine Vielfaches schwerer Investitionskredite aufzunehmen ohne gleichzeitig in den Folgejahren den Komplett-Absturz der Liquidität zu riskieren. Ohne ein “mehr” oder “viel mehr” auf der Einnahmenseite funktioniert das vermutlich nicht.
Freie Wählergruppe:
Heisst das Abschied nehmen von Lebens- und Wohnqualität?
Ortsbürgermeister:
Ich bin leider kein Hellseher, aber das ist leider ein nicht unmögliches Szenario. Meine Hoffnung lag in mehr Realsteuereinnahmen, mit Fokus auf Gewerbesteuer. Nicht durch Steuererhöhungen, sondern durch attraktive und mit dem Dorf harmonierende Ansiedlung von Unternehmen. Und weiterhin auf der Errichtung eines Windparks. Das, wie ich schon sagte, nicht, um die Lebens- und Wohnqualität zu verbessern, obwohl das optimal wäre. Nein, ich vermute das brauchen wir schon, um überhaupt die Schulden abbauen zu können und unsere aktuelle Lebens- und Wohnqualität stabil zu halten.
Freie Wählergruppe:
Das sehen aber nicht alle so. Richtig?
Ortsbürgermeister:
Stimmt. Und es wäre auch unrealistisch, wenn alle gleicher Meinung wären. Das ist Demokratie und das ist gut so. Ich hoffe aber, dass viele meine Meinung teilen. Denn ich habe vorhin schon begründet, warum ich dieser Meinung bin und habe das mit konkreten Zahlen belegt.
In den letzten 10 Jahren konnte mir bisher auch niemand eine sinnvolle Alternative dazu und zum Schuldenabbau nennen, ohne eine riskante Vernachlässigung anderer Bereiche zu begehen.
Freie Wählergruppe:
Weil nichts zum Sparen da ist?
Ortsbürgermeister:
So könnte man es leider fast ausdrücken. Die Gemeinde hat sich nach dem KiTa-Neubau und Erschließung des Neubaugebietes recht sparend verhalten, kaum bis keine Investitionen, keine Investitionskredite. Sie hat sich mit Sanierungsmaßnahmen beschäftigt, um Missstände abzustellen, wie der Ausbau maroder Verkehrsanlagen, Kellersanierung der Grundschule und solcher Dinge.
Der Schuldenabbau wird eine sehr zentrale Rolle in der kommenden Wahlperiode spielen. Der Höchststand der Schulden aus Investitionskrediten war 2014 bei 4,1 Millionen Euro. Die Kostenberechnung der KiTa, kurz vor Baubeginn, belief sich zu dem Zeitpunkt auf 2,8 Millionen Euro Gesamtkosten. Ohne nach dem KiTa Neubau neue Kredite aufgenommen zu haben liegt der Schuldenstand zum Jahr 2022 bei noch 2,6 Millionen Euro, was nicht verwunderlich ist.
Bedenkt man welche aktuellen Investitionen bei der letzten Haushaltsberatung anstanden, Bau Mehrzweckraum Grundschule 1,1 Millionen Euro, Erweiterung Grundschule 2,6 Millionen Euro, Umbau und Sanierung Schulturnhalle 2,6 Millionen Euro, dann sollte bei den in Summe über 6 Millionen Euro mögliche Investitionen klar werden, dass bei einem neuen Darlehen von, sagen wir 4 Millionen Euro Kreditaufnahme, bei einem Zinssatz von 4% und 1% Tilgung, was zusätzliche 200.000 Euro zu den aktuellen Tilgungen von 130.000 Euro pro Jahr ausmacht, in einer Laufzeit von ca. 40 Jahren nur die Zinsen schon 4 Millionen ausmachen und sich ein Gesamtkostenanteil nach der Laufzeit von 8 Millionen vom 4 Millionen Darlehen ergibt.
So etwas ist einfach nicht zu schultern. Der Ort wäre nicht nur hochverschuldet, sondern hätte in kürzester Zeit keine Liquidität mehr. Die Liquiditätsschulden würden rasant schnell explodieren. Denn jede der eben genannten Investitionen erzeugt keine Einnahmen und Einnahmen- und Ausgabenseite würde daher noch mehr auseinanderdriften.
Freie Wählergruppe:
Einfach gesagt, das kann sich Weitersburg nicht leisten.
Ortsbürgermeister:
Einfach, aber richtig, ja. Ohne deutlich bessere Einnahmenseite muss zurückgestellt oder gestrichen werden.
Freie Wählergruppe:
Heikles Thema, ohne Moos also nicht viel los … vielen Dank für den Einblick in die Schuldensituation. Wir sind gespannt auf Teil 6.